Vor einem Jahr kreierte ich „A Journey to the Self“, eine kleine Serie, welche sich mit der Selbstfindung beschäftigt und mir vor ein paar Wochen sogar nicht nur eine lobenswerte Erwähnung, sondern vollkommen überraschend den ersten Platz in einer Kategorie der Fine Art Photography Awards beschert hat. Ich schätze es könnte also mal Zeit sein, sie endlich näher vorzustellen!

Der Anstoß

A Journey to the Self würde so sicherlich nicht existieren, wäre da nicht das Fotokollektiv Fotografie im Norden gewesen. Zusammen mit Jona Rothert und Erik Schlicksbier bereiteten wir eine Ausstellung zum Thema „Attitüde“ vor. Ein Begriff, der mich zunächst wenig begeisterte, rief er bei mir doch eher die Konnotation zu einer gekünstelten, affektierten inneren Haltung hervor. Doch wir wollten uns an älteren, fast vergessenen Worten orientieren und die ursprüngliche Bedeutung erstaunte mich sehr.

Attitüde

– „Mit diesem französischen Kunstausdrucke bezeichnet man, vorzüglich in den Künsten, die Stellung oder Lage lebendiger Figuren, vorzüglich in Zuständen der Ruhe. Weil aber die Kunst, vermöge ihres Zwecks, nur bedeutungsvolle Gegenstände wählt, so müssen auch diese Stellungen und Lagen der Figuren nicht nur die Formen der Körper und ihre Verhältnisse an sich, oder durch den Reiz der Farbenbeleuchtung (in malerischer Hinsicht), in einem vortheilhaften das gebildete Auge erfreuenden Bilde zeigen, sondern auch durch alles diesen einen bedeutungsvollen und interessanten Zustand des Lebens musterhaft darstellen.“

Im Conversationslexikon von 1816 wird so eine der frühesten Definitionen der „Attitüde“ erklärt. Auch in den darauffolgenden 100 Jahren wird die Attitüde immerzu als eine „Haltung und Stellung des Körpers, bes. in artistischer Hinsicht“ oder „ausdrucksvolle, künstlerischen Eindruck erstrebende Stellung lebender Figuren bezeichnet“. Sie scheint eine Kunst gewesen zu sein, die sich zwischen Schauspiel, Tanz und Pantomime bewegte. Die darstellende Person – in den meisten Fällen eine Frau – nahm dabei Haltungen ein, die antike Plastiken, ein existierendes Gemälde oder einen Seelenzustand nachbildeten. Dabei wird auch immer die Bedeutung des „lebhaften Gemütszustand oder bedeutungsvollen Augenblick“ betont, welcher durch die Attitüde vermittelt werden soll. Als Attitüdenkünstler war man daher Erfinder und Medium zugleich: Man musste 2 Identitäten zugleich annehmen – die, die darstellt und die, die dargestellt wird. Das ein oder andere Mal wird die Attitüde auch mit den Lebenden Bildern – Tableaux Vivants genannt – verbunden, doch soll es laut Fachliteratur, wie Birgit Jooss „Lebende Bilder“, einen kleinen, aber feinen Unterschied geben: Während die Attitüden von nur einer einzelnen Person präsentiert wurden, waren die Tableaux Vivants Teamarbeit: Eine ganze Gruppe von Menschen stellte dabei meistens berühmte Gemälde nach.

Nicht nur als eine Form der Darstellungs- und Unterhaltungskunst, auch in der Malerei waren die Attitüden von großer Bedeutung. Denn durch die lebhafte Körperhaltung des Modells konnte der Maler seine Idee ebenso lebhaft festhalten. Selbst in den Anfängen der Fotografie lassen sich die Attitüden wiederfinden, erforderte das lange Belichten doch damals noch viel Ruhe und das lange Halten einer Pose.

Die Blumen versuchte ich am Rahmen zu befestigen, in dem ich Styroporblöcke an den Rahmen klebte und die Stängel der Blumen dort hinein drückte.

Die Idee

Bei meiner ersten Auseinandersetzung mit dieser Bezeichnung blieben mir vor allem die Verbindungen zu den Lebenden Bildern im Kopf. Denn schon seit vielen Jahren hatte ich mir vorgenommen eines Tages ein Bild mit einem lebensgroßen Bilderrahmen umzusetzen, aus dem Blumen wachsen sollten. Bei meinen näheren Recherchen passte aber auf einmal noch viel mehr als nur die Inszenierung von Lebenden Bildern: Als Selbstporträtkünstlerin bin ich es ebenfalls gewohnt Erfinder und Medium zugleich zu sein. Ein Bild soll bei mir möglichst immer ein Gefühl oder eine Aussage vermitteln, welche ich damit auch in einer einzigen Pose ausdrücken muss. Dazu kommt, dass ich meine Arbeit ähnlich angehe, als würde ich ein Gemälde anfertigen, ich sehe es vor dem inneren Auge und suche mir dann einen Weg dorthin. Photoshop ist mein bester Freund und so wird das Bild, das mir vor Augen schwebt, so gut es geht zusammengebastelt und gern stilistisch so bearbeitet, dass es an Gemälde erinnern mag. Und dann wollte es der Zufall, dass die Attitüdenkunst damals vorrangig von Frauen ausgeübt wurde – und Überraschung: Ich bin eine Frau!

So brauchte es der damaligen Definitionen nach nur noch den „ bedeutungsvollen und interessanten Zustand des Lebens“. Und dieser war schnell gefunden: Die Reise auf der Suche nach dem Selbst – wird sich doch sicher jeder früher oder später auf diesem wichtigen Weg wiederfinden. Na gut, und es brauchte Requisiten: Die Kostüme, welche eine Reise durch mehrere Epochen in die Vergangenheit darstellen sollten. Lediglich das Kleid im ersten Foto ist nicht selbstgenäht. Dieses hatte vor Jahren eine Freundin für mein CIRCUS Projekt ausfindig gemacht. Aber während Rock, Korsett und Kleid aus Bild 2 und 3 schon existierten, beschloss ich für Bild 4 und 5 völlig neue Kleider zu nähen. Besonders das Renaissancekleid vereinnahmte nicht nur viele Nerven und Zeit, es bescherte mir auch eine dicke Sehnenscheidenentzündung mit einmonatiger Pause, da der Stoff und die Verzierungen so fein waren, dass ich das komplette Kleid am Ende mit der Hand genäht habe. Aber nicht nur die Kostüme, auch der Bilderrahmen musste her! Er entstand aus Sytoroporleisten aus dem Baumarkt, die ich mit der Heißklebepistole zusammensteckte und braun und golden anmalte. Eine lange Vorbereitungszeit, die dann in einer sehr kurzen etwa 2-wöchigen Produktionsphase endete. Schließlich mussten die Bilder rechtzeitig zur Ausstellung fertig werden!

Backstagefotos von Erik Schlicksbier.

So zeigt diese kleine Fotoreihe nun also den Weg von einem Stadium zum anderen: Die Reise beginnt mit dem Schein des Selbst, Orientierungslosigkeit und Maskierung. Symbolisiert durch die „Goldenen 20er“ – Jahre voller Glanz und Pomp und gleichzeitig sehr viel menschlichem Leid, das mit möglichst viel Glitzer bedeckt werden musste, um ihm zu entfliehen.Schließlich fängt der Mensch aber an sich selbst zu reflektieren und bewusst sich auf die Suche nach dem Selbst zu machen. Das verlangt den Mut sich selbst zu entblößen und sich dem Blick in die Spiegel zu stellen, bis dieser eine Spiegel gefunden wird, der das Bild komplett macht und alle Facetten der Persönlichkeit vereint. Durch diese Selbstreflexion entfaltet sich das Potential der Seele, sie wächst, blüht und gedeiht und sprengt den einengenden Rahmen, bis sie ihr Abenteuer beendet hat und fortan als Königin über ihr Ich regieren kann. Die visuelle Reise durch mehrere Epochen zurück in die ferne Vergangenheit geht einher mit der Reise, die wir alle irgendwann einmal antreten werden: trotz allem bunten Trubel und lustiger Ablenkung kehren wir irgendwann zurück zu uns selbst, denn wir selbst sind das Einzige, was auf Erden immer bei uns sein wird.

Nachdem „A Journey to the Self“ auch nach der Fotografie im Norden Ausstellung noch länger im Hofcafé Blockshagen hängen durfte, kam sie dann zu Weihnachten für eine vom Heimatmuseum Boizenburg organisierte Ausstellung ins dortige Rathaus. An dieser Stelle mein allergrößtes Dankeschön an die Museumsleiterin Inga Ragnit, die nicht nur die Innenstadt mit meinen Bildern zukleisterte, sondern auch eine wunderschöne kleine Finissage inklusive Posaunenchor organisierte!

Mittlerweile hat die Serie ihre Reise vorerst beendet und ist nun wieder bei mir angekommen, doch ist sie digital noch weiter gereist, als ich gedacht hätte. Sie hat den 1. Platz in der Kategorie Conceptual in den 9. Fine Art Photography Awards gemacht! Und oh mein Gott, ich bin jetzt Besitzer eines Zertifikats und eines „Badges“. Ich muss noch herausfinden, was man damit so eigentlich macht und was mir das bringt, aber so lang: Schaut euch diese süße kleine goldene Badge-Ding an!