Irgendwo in Schleswig-Holstein, nahe der Küste zur Ostsee verbergen sich steinerne Zeugen der Vergangenheit. Ein Steinkreis – abgeschieden und versteckt in einem Waldstück, dessen Boden über und über von Dornen bedeckt ist. Gut versteckt vor ungewollten Blicken und Besuchern.
Eine Idee nimmt ihren Anfang
Dieser geheimnisvolle Steinkreis bildet nun den Anfang meines neuen Projekts, dessen Name ich noch immer versuche herauszufinden – eine Idee, die in der Enge des zweiten Lockdowns entstand, als mir bewusst wurde, dass ich kaum die Hoffnung haben dürfte, in diesem Jahr das Land zu verlassen. Als mir ebenso bewusst wurde, dass wenn ich mich von Landschaften zu Fotos inspirieren lasse und diese zur Haupterzählung mache, es meistens welche sind, die fern meiner Heimat sind – und dabei sei angemerkt, die Ferne geht für mich schon ab Hamburg los. Also warum nicht mal das eigene Bundesland näher anschauen und wunderschöne Locations in Schleswig-Holstein entdecken, die sicherlich genauso episch werden können, wie die Wälder im Harz oder die Glens in Schottland? Naja, zumindest annähernd so episch.
Ziemlich schnell merkte ich beim Sammeln von Ideen für diese Locations allerdings, dass diese fast ausschließlich Megalithanlagen, Dolmen und Kultstätten waren und dass ich mich viel zu sehr von meiner Liebe zu vergangenen Zeiten und Orten einnehmen ließ. Es waren die historischen Orte, die mich anzogen mit ihrer ganz eigenen Magie. So wurde ebenso schnell aus der anfangs sehr lockeren Idee sich das Zuhause mit neuen Augen anzuschauen, ein Projekt, das sehr viel mehr Recherche und Vorbereitung verlangte. Aus dem „Ich fahre im Sommer einfach ein bisschen durch die Gegend“ wurde ein „Ich verbringe den Sommer mit Nähen, Färben, Weben, recherchieren und Requisiten basteln“. Es wurde sehr viel mehr, als ich erwartet hatte. Vom Sammeln von Birkenblättern angefangen, um am Ende ein grünes Kleid zu bekommen, bis zum Weben von Wolle, um das Wikingerkleid detailreicher zu gestalten. Es ist nun Ende Oktober, das Jahr neigt sich seinem Ende zu und ich bin teilweise noch immer dabei, einige der Kostüme fertigzustellen. Aber trotz meiner Recherche zu den Orten, zu den Gegebenheiten und der damaligen Zeiten möchte ich anmerken, all das was kommt, ist nur meine Interpretation der Vergangenheit. Die Zeiten, in die ich reisen wollte, liegen teilweise in sehr weiter Ferne. So weit, dass man sehr viel Fantasie aufbringen kann, was die damaligen Lebensumstände und mit ihnen die Kleidung betrifft. Und so habe ich es gehandhabt. Dieses Projekt hält sich nicht streng an den gegebenen historischen Rahmen, es hat sich daran orientiert und inspiriert, doch habe mir die Freiheit genommen, meine Fantasie einzubringen und dadurch eine eigene Interpretation von dem „Wie es vielleicht auch hätte sein können“ zu gestalten.





Die Kultstätte am Meer
Den Anfang dieser Reise beginnen wir in diesem Steinkreis an der Ostsee, der sich nicht so leicht finden lassen wollte. Inmitten der teilweise mannshohen Dornen, befürchtete ich schon meiner besten Freundin eine ziemlich schmerzhafte Erfahrung, statt eines aufregenden Ausflugs zu bieten. Es ist der einzige Steinkreis in meiner Heimat, von dem ich bisher erfahren hab. Umso glücklicher war ich, dass es ihn überhaupt hier gibt – nur eine Stunde Fahrt von mir entfernt. Denn gerade Steinkreise üben eine besondere Anziehung auf mich aus und ich mag behaupten der Steinkreis von Callanish auf den Äußeren Hebriden ist das Schönste, was ich je gesehen habe.
Unser Steinkreis wird in die nachchristliche Eisenzeit ins 2. – 4. Jahrhundert n. Chr. datiert und ist damit bedeutend jünger, als seine berühmten Kollegen in Großbritannien, die immerhin um die 5000 Jahre alt sind. Und auch sehr viel kleiner: er misst 10 Meter im Durchmesser und seine Steine sind nur knie- bis hüfthoch. Zudem kommt, dass eine Hälfte des Kreises bereits wieder überwuchert ist und man somit einen noch kleineren Kreis wahrnimmt. Dennoch – ich liebte ihn von der ersten Sekunde an! Trotz seines jungen Alters von „nur“ etwa 2000 Jahren strahlt er für mich eine ebenso mystische Kraft aus und stellt eine Reise in eine rätselhafte Vergangenheit dar. Denn wozu genau diese Kreise errichtet wurden, darüber können wir noch immer nur spekulieren. Die Thesen reichen von religiösen Kultstätten, zu astronomischen Beobachtungsanlagen, die auch einen Kalender für Saat- und Erntezeiten beinhalten, Heilriten und Prozessionsstätten zur rituellen Bewältigung des Todes. Dabei sollte man im Hinterkopf behalten, dass wir nur imstande sind jeden Fund und jeden Hinweis aus unserer Perspektive zu interpretieren. Jede Theorie ist nur eine Interpretation der Funde – sie kann der Wahrheit nahekommen oder nicht und es sieht nicht so aus, als würden wir sie jemals erfahren.


An unserem Steinkreis an der Ostsee fand man durch Grabungen mehrere rechteckige Steinsetzungen, die nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet sind, steinerne Zuwege, Schwellensteine und um den Kreis herum angeordnet Brandstellen. Außerdem aber auch nachträgliche Urnenbestattungen: Männer wurden innerhalb des Kreises beigesetzt, die Frauen außerhalb. Ich überlasse euch hier eurer eigenen Interpretation des Zwecks dieses Steinkreises. Doch sehen wir wohl an den Funden, dass dieser nicht ein einziger sein muss oder sich im Laufe der Zeit und der vielen nachfolgenden Generationen verändert und ihren Bedürfnissen angepasst haben mag.
Interessant ist für mich der angegebene Zeitraum der Entstehung. Während alle Megalithanlagen, auf die ich für dieses Projekt gestoßen bin, in die ausgehende Jungsteinzeit bis in die Bronzezeit datiert werden, ist diese Anlage in der Eisenzeit entstanden und damit wirklich sehr viel jünger. Darf ich also annehmen, dass sie eine der letzten Hinterlassenschaften der Megalitherbauer hier ist? Außerdem kann man sie noch in einen weiteren geschichtlichen Kontext setzen: Im 5. Jahrhundert begannen die hier ansässigen Angeln das Land zu verlassen und Britannien zu besiedeln. Die Region soll schließlich fast menschenleer gewesen und dann von den Stämmen der Jüten und Dänen erschlossen worden sein. Was heißen könnte, dass der Steinkreis aus dem 2.-4. Jahrhundert n. Chr. möglicherweise nicht lang genutzt wurde oder später von anderen Stämmen wiederbelebt wurde. Aber das sind alles nur meine eigenen wilden Spekulationen, die mir in den Sinn kommen, wenn ich versuche alles zusammenzufügen, was ich erfahren konnte.



Das alte Brauchtum
Für das Fotoprojekt entschloss ich mich den kultisch-religiösen Aspekt aufzugreifen. Die gefundenen Brandstellen lassen eine wunderbar mystische Atmosphäre schaffen, die möglicherweise wirklich einmal den Rahmen von Ritualen vorgegeben haben mag. Wie diese aussahen, wissen wohl nur die Menschen von damals selbst. Ich möchte an dieser Stelle aber anmerken: Es ist Samhain, Freunde! So wie wir diese Reise in die Vergangenheit in einem Steinkreis beginnen, beginnen wir sie heute auch im Kreis der Jahreszeiten. Zugegeben ist Samhain vor allem aus den 4 großen Jahresfesten der Kelten bekannt, doch auch im germanischen Jahreskreis scheint sich ein ähnliches Fest befunden zu haben.
Samhain markiert den Übergang zum Winter, die Natur stirbt, die dunkle Jahreszeit ist angekommen – es ist ein Fest der Toten und der Anderwelt. In dieser Zeit wird der Schleier zwischen den Welten durchlässiger und die Grenze zur Totenwelt ist durchlässiger. Die Germanen sollen hier nicht nur ihren Ahnen und den Naturwesen gedacht haben, sondern auch die Krieger in Walhalla gerufen haben, damit sie in der bevorstehenden Götterdämmerung gegen die Riesen kämpfen.
Also ladet eure verstorbenen Lieben doch heute auf einen kleinen Festschmaus ein. Es ist Brauch ihnen einen Teller am Tisch zu widmen. Ich habe dem Steinkreis und seinen unsichtbaren Bewohnern meine Rosmarin- und Thymiansträuße hinterlassen – immerhin hatte ich es ihnen auch fest versprochen, wenn sie uns trotz all der Dornen diesen Ort finden lassen.




Liebe Marlena,
Der Hammer,
so faszinierend mystisch, Gänsehaut pur !!!!
Ich wünschte du würdest mal ein Bildband ( Buch) nur mit deinen Fotos herausbringen!
Liebe Grüße, Maike
Oh Danke dir Maike! Das freut mich voll 🙂
Vielleicht wird es zu der Strecke tatsächlich einen Bildband geben, ein Freund von mir hat mich dazu auch schon ermuntert 😀
Liebe Marlena,
mich erfreut die Tiefe Deiner ganzheitlichen Kunst sehr! Deine beseelte Fantasie, Deine ZAUBER-haften Fotogeschichten, Dein persönliches Herzblut dabei, Dein großer handwerklicher Einsatz für die Requisiten und Deine fundierte Recherche zum Thema (das Du uns hier auch mitteilst – Danke!) sind einfach wunderschön.
Das Ganze ergibt, wie ich finde, ein einzigartiges künstlerisches Gesamtpaket – denn es ist wirklich ‚Deine Handschrift‘.
Da ich zudem Angeln liebe und gut kenne und mit meiner Harfenmusik bespielt habe, freue ich mich auf Deine weiteren Beiträge.
Auch ich bekräftige meinen Wunsch, dass daraus einmal ein Bildband entsteht – bitte auch mit Deinen Wort-Geschichten.
Herzlichst, Christine
Oh liebe Christine, danke dir für die so schönen Worte!
Es ist so schön zu hören, wie viel du darin siehst und noch mehr freut es mich, dass dir die Arbeit dazu so gut gefällt, denn es wird auch immer mehr zu einem Herzensprojekt 🙂
Fühl dich umarmt!