Ganz in der Nähe Haithabus steht ein Runenstein, direkt an einem kleinen sandigen Wanderweg, der über einen flachen alten Damm durch meterhohes Schilf führt, durch das Wasser hinüber zum anderen Ufer. Hier wo einst das geschäftige Treiben der ehemaligen Wikingerstadt tobte, setzte eine Mutter ihrem Sohn ein Denkmal.

Die Runensteine in Haithabu

Runensteine wurden aufgestellt, um die Nachwelt an besondere Menschen zu erinnern – es waren Gedenksteine für Gefallene und Verstorbene, aber auch Möglichkeiten, um die eigenen Taten und Leistungen zur Schau zu stellen. Vorbehalten war dies aber nur Leuten von zumindest lokalem Stand, der sozial höher gestellten Klasse. Besonders in Skandinavien sind Runensteine weit verbreitet, die meisten davon lassen sich in Schweden finden. Nur sehr wenige sind in Deutschland bekannt: einer auf Wollin, einer in Brandenburg, der allerdings nicht entziffert werden konnte und vier bei Schleswig, rund um die alte Wikingersiedlung Haithabu. Sie werden aufgeteilt in die Svensteine und die Sigtryggsteine.

Die Svensteine „Erikstein“ und „Skarthistein“ stammen aus dem späten 10. bzw. frühen 11. Jahrhundert und erzählen von einer Belagerung Haithabus. Der Skarthi- oder Skarthestein wurde von einem König Sven aufgestellt, um seinen hier gefallenen Gefolgsmann Skarthe zu gedenken. Dieser Stein wurde übrigens direkt an einem Grabhügel gefunden, der eine wikingerzeitliche Bestattung aufwies. Beim Erikstein gedenkt dagegen ein Gefolgsmann Svens seinem Genossen Erik, der bei der Belagerung Haithabus starb.

Die Kopien des Erikstein (links) und des Großen Sigtryggsteins (rechts). Der Erikstein steht heute direkt an einer Straße, dafür aber an dem Startpunkt eines Wanderwegs zum Sigtryggstein.

Meine Aufmerksamkeit erregte aber von Anfang an der Große Sigtryggstein, der mit dem kleineren zusammen die etwas ältere Gruppe der Runensteine ausmacht. Sie stammen aus Mitte oder Ende des 10. Jahrhunderts und erinnern an König Sigtrygg. 1797 wurde er zerbrochen an der Furt zwischen dem Haddebyer und dem Selker Noor gefunden. Wie die anderen drei, befindet sich das Original heute im Wikinger-Museum Haithabu, doch an dem Fundort des Steines steht nun eine originalgetreue Kopie – an einem Ort, der für Gedenksteine solcher Art beliebt war: An Furten, dort wo Flüsse, Seen und Niederungen passiert wurden oder an Straßen, um die Aufmerksamkeit der vorbeikommenden Menschen zu erregen.

„Asfrid machte dieses Denkmal nach Sigtrygg, ihren und Knubas Sohn.“

– Inschrift auf dem Großen Sigtryggstein

Die Bedeutung des Großen Sigtryggsteins

Kommen wir zu der Geschichte dieser Steine, die mich so interessierte: Königin Asfrid Odinkarsdatter stellte 2 Runensteine auf, die in schwedischen Runen an ihren Sohn, König Sigtrygg, gedenken.  Die Tatsache, dass es sich um schwedische Runen handelt und noch dazu der Brauch zwei Steine für denselben Anlass zu setzen, welcher in Schweden häufiger, als in Dänemark ist, lässt schließen, dass hier eine schwedische Dynastie für eine gewisse Zeit über die Gegend um Haithabu herrschte. Die Erwähnung Knubas ist sehr bedeutungsvoll, um sonst kaum gesicherte Überlieferungen mit zeitgenössischen Quellen zu belegen. Denn es gibt zwei Erwähnungen, die helfen die Steine in einen Kontext zu setzen und die Geschichte hinter ihnen damit zu rekonstruieren.

Zum einen berichtete Adam von Bremen von einem schwedischen Adligen namens Olaf, der zu Beginn des 10. Jahrhunderts Dänemark eroberte. Seine Söhne hießen Gyrd und Chnob – hier haben wir eine der vielen anderen Schreibweisen von Knuba. Der letzte Vertreter aus diesem Geschlecht wurde tatsächlich Sigtrygg genannt und verlor sein Königreich an einen Mann namens Hardegon. Man spricht auch von der schwedischen Olaf-Dynastie, die von ca. 900-950 in Teilen Dänemarks herrschte. Der zweite Hinweis stammt vom sächsischen Chronisten Widukind von Corvey. Dieser berichtet vom deutschen König Heinrich I. und seinem Feldzug Im Jahre 934 gegen König Knut. Er drang bis zur Schlei vor, unterwarf den König, machte ihn tributpflichtig und zwang ihn zum Übertritt zum christlichen Glauben.

Während einige Thesen nun schließen, dass König Knuba 934 noch lebte, Sigtrygg unmittelbar darauf auf den Thron gefolgt sein müsse und zeitnah von Hardegon/Hardecnudth/Gorm vertrieben worden müsste, zeigen nähere Blicke auf die historischen Quellen Zweifel: Adam von Bremen gibt Unsicherheiten bei der Folge der Könige, bzw. ihrem parallelen Herrschen zu, Widukind von Corvey schöpft aus einer Quelle, die den Feldzug, aber nicht den Namen des dänischen Königs nennt. Kurzum: eine sichere Datierung kann noch immer nicht aus den Quellen geschlossen werden. Die verschiedenen Lebensläufe der Könige und die darauf basierenden Theorien hier breit zu erläutern, würde dann wohl aber doch den Rahmen sprengen.

Wichtig aus allem zu schließen ist mir nur: Es gab eine Königin namens Asfrid Odinkarsdatter, die erste dänische Königin, deren Name überliefert ist. Sie war mit König Knuba verheiratet, den wir heute auch als Knut I. kennen und oft mit Gnupa/Chnob gleichgesetzt wird. Dieser kam aus einer schwedischen Dynastie, die über Teile von Dänemark herrschte. Der deutsche König Heinrich der I. unterwarf Knuba, sein und Asfrids Sohn wurde irgendwann darauf König, allerdings seines Königreichs beraubt. Sigtryggs Spur verliert sich, wird aber oft in einem Normannen namens Setricus gesehen, der 943 in der Normandie ums Leben kam. So hatte seine Mutter, die nun ihren Ehemann, wie ihren Sohn überlebt hatte, Gelegenheit Gedenksteine aufzurichten, ohne direkt aus dem Gebiet vertrieben worden zu sein.

Und so stehen heute noch die Repliken dieser Steine Bei Haithabu und erzählen von den damaligen Wikingerkönigen, den zahlreichen Schlachten um Macht und Herrschaft, von einer wieder rasch im Dunklen verschwundenen Dynastie und einer Frau, die nun sowohl Mann, wie Sohn verloren hatte.

Kleiner Fun-Fact zum Ende: Die Zahl der Steine, die für und von Frauen gesetzt wurde, ist gar nicht so gering. 12% der Runensteine in Schweden wurden von Frauen aufgestellt, weitere 15% von Frauen und deren Männern. Das deutet auf ein Bild der Frau hin, welches nicht von einer vollkommen männlichen Vorherrschaft überschattet wurde, wie es gern angenommen wird.