Zwischen dem Surendorfer Strand und dem heutigen Ferienhausdorf Jellenbek erhebt sich ein Teil der Steilküste. Der Pfad windet sich die Klippen hoch und führt an Feldern vorbei, durch Tunneln aus Schlehengewächsen hindurch – stetig an der Abbruchkante entlang, bis man schließlich auf einer kleinen Wiese auf eine unscheinbare Gedenktafel stößt. Hier stand vor vielen Jahren die St.-Catharinen-Kirche. Hier befand sich einst das Zentrum eines kleinen ländlichen Kirchspiels und hier wurden einst Menschen getauft, getraut und bestattet.

An der Wandernden Steilküste

Der heutige Ort meines Projekts, das noch immer einen Namen sucht, bedeutet mir auch persönlich viel. Als er mir vor etwa 10 Jahren das erste Mal gezeigt wurde, war ich direkt verliebt und diese Liebe hält auch heute noch in unveränderlichem Maße an. Das lag nicht nur an der rauen Schönheit der Steilküste – auch mein Herz für Vergangenes und Archäologie schlägt hier höher und bedauerte eventuell ein wenig, dass damals während meines freiwilligen Jahres im Archäologischen Landesamt, mein Einsatzort an der A20 und nicht an der Ostsee war. Denn vor hunderten von Jahren erhob sich auf diesem Plateau eine gotische Backsteinkirche – weithin über die Ostsee sichtbar und über lange Zeit eine wichtige Landmarke für die Schiffer im östlichen Buchtbereich.

Da eines meiner Hobbys das Starren auf alte Landkarten ist, kann ich nun stolz einen Fund präsentieren: Die St.-Catharinen-Kirche auf der „Tabula Generalis Holsatiae“ um 1730!

1319 wurde sie erstmals urkundlich erwähnt, ihr scheint eine hölzerne Stabkirchenkonstruktion vorangegangen zu sein und davor wiederum ein heidnischer Kultplatz – wie bei so vielen alten Kirchenplätzen. Doch Steilküsten haben leider die Angewohnheit in stetiger Veränderung zu sein und so fiel diese alte Kirche der Ostsee zum Opfer – streng genommen den präventiven Maßnahmen der damaligen Bürger, die darin bestanden, eine neue Kirche 1,5km landeinwärts zu errichten und den alten Bau 1737 abzureißen. Doch heute nagt ein jeder Wintersturm mehr und mehr an den noch erhaltenen Grundmauern im Boden und lässt die Überreste langsam in den Fluten der Ostsee verschwinden. Im Bereich des verschwundenen Fischerdorfes Jellenbek ist dieser Rückgang ganz besonders deutlich zu beobachten, jedes Jahr erkenne ich die Stelle von neuem kaum wieder – ganz besonders dieses Mal. Zusammen mit meiner besten Freundin staunte ich nicht schlecht im Angesichte der neuesten Veränderungen – der Strand war nun teilweise auf knapp einen Meter geschrumpft und zwang uns unter betonharten Abbruchkanten hindurchzugehen. Dass hier die Dorfbewohner um 1650 ihr Zuhause verließen, verstehe ich nun umso besser.

In ebendiesem Bereich – der Mündung des Bachs Jellenbek – wird das verschwundene gleichnamige Fischerdorf vermutet.

Eine Kirche, die von vergangenen Zeiten erzählt

Glücklicherweise war es dem Institut für Ur- und Frühgeschichte der CAU Kiel möglich in mehreren Ausgrabungen die St.-Catharinen-Kirche vollständig freizulegen und zu dokumentieren, bevor weitere Bestandteile der Kirche wegbrechen konnten. So wissen wir heute so viel mehr als nur von ihrer bloßen Existenz. Georadarmessungen ergaben einen ca. 25 Meter langen Bau mit einem 10 Meter breitem Saal und einem 8,5 Meter breitem Rechteckchor. Die Steine des südlichen Eingangs wiesen Pfotenabdrücke von Hunden und Katzen auf, denn so sollte der Teufel ferngehalten werden. Funde aus dem alltäglichen Gebrauch, wie Pfeifenreste, Münzen und Stecknadeln wurden ausgegraben und zeigen, dass Kirchen damals nicht nur zur besinnlichen Einkehr genutzt wurden. Ziegelsteine aus lokaler Produktion, wie auch aus der Lübecker St.-Petri-Ziegelei tauchten auf, die Standorte von Taufbecken und Altar wurden ausfindig gemacht und ganz besonders viele Gräber gefunden: Insgesamt 98 Bestattungen wurden ausgemacht. Sie wurden in typisch christlicher Manier mit dem Blick gen Osten gebettet, die Hände auf der Brust gefaltet. Es wurde aber auch ein rätselhafter Fund eines Skeletts mit durchnagelten Füßen gefunden, sowie auch Skelette mit angespitztem Stein zwischen den Zähnen – ein Brauch, um Untote davon abzuhalten wiederzukehren und Angehörige zu töten.

2013 durfte ich bei einem Spaziergang einen winzigen Blick auf die Ausgrabungsarbeiten erhaschen.

Viele Gräber befanden sich sogar innerhalb der Kirche im Mittelgang und dem Chor. Dabei ist vor allem eines interessant: Während bis in das 19. Jahrhundert die Toten aus Kostengründen überwiegend in Leichentücher gewickelt wurden, sind fast alle Bestatteten der St.-Catharinen-Kirche in Särgen zur Ruhe gebettet wurden. Diese Menschen und ihre Familien konnten sich also teurere Bestattungsriten leisten und insgesamt 16 der Särge besaßen sogar Eisengriffe und diverse weitere Ausstattungen, wie verzierte Totenhemden, Kopfbedeckungen und Totenkronen. Zusätzlich durch das Sterberegister der Kirchengemeinde schließt Katja Grüneberg-Wehner – eine der Grabungsleiter*innen – dass es sich hier um Angehörige des Kirchenpatrons, des Pastors und der sozialen Oberschicht handelte. Bei mindestens Dreien ist aber klar, dass sie ganz sicher zu diesen Schichten gehörten: Man fand die Grabplatten und die zugehörigen Überreste der Pastoren Christian Lexovi Senior und Peter Struve, sowie dessen Frau Elisabeth. Elisabeths Grab scheint dabei etwas Besonderes zu haben. Nicht nur, dass Frauengräber innerhalb der Kirche zu dieser Zeit sehr selten waren – der Bereich des Chors war ein sehr beliebter Bestattungsplatz. Die Verteilung von männlichen und weiblichen Gräbern zeigt jedoch, dass im Chorraum mehr Männer, als Frauen bestattet wurden und weist so auf das damals vorherrschende Patriachat und die untergeordnete Stellung der Frau. Elisabeth hatte nicht nur einen Platz in der Kirche, sondern zusammen mit ihrem Mann einen letzten Ruheplatz direkt vor dem Altar gefunden. Allerdings nicht für die Ewigkeit. Denn nur 17 Jahre später riss man die Kirche ab und der Altar verschwand. Geblieben sind nur die für uns unsichtbaren Zeugen der Zeit, die Fundamentsteine, die Jahr um Jahr ihren Weg ans Tageslicht finden und von den Klippen in das Meer rollen.

(Und laut der Kirchengemeinde Krusendorf eine Oblatendose, ein Abendmahlskelch, eine Taufschale und sogar die Glocke „St. Katharina“ von 1685!)

All meine Quellen lassen sich auf der jeweiligen Seite des Instituts für Ur- und Frühgeschichte finden. Ich kann dem Interessierten nur ans Herz legen, sich die Publikationen und Zeitungsartikel anzuschauen, denn es gibt so viele Details, die die ganze Sache noch viel spannender machen und denen ich in einem kleinen Blogbeitrag niemals Herr werden würde.

Abschließend Danke an Sarah. Dafür, dass sie es erträgt mich monatelang nicht zu sehen und dann spontan und urplötzlich 2 Stunden vor Sonnenuntergang mit mir auf Abenteuertouren geht. Dafür, dass sie mir meine Fototasche hinterher trägt, Backstage-Fotos macht, mit mir unter Bäumen hindurch auf den matschigen Strand springt und aufpasst, dass ich meine Sachen in der Abenddämmerung nicht verliere. Und schließlich dafür, dass sie Haarnadeln dabei hat. Denn ohne diese hätte ich mein Kleid niemals zubekommen, der spontane Ausflug wäre geradezu umsonst gewesen und die Fotos würden praktisch nicht existieren.