Da haben wir ihn: den Tag, auf den ich mich nun gute 8 Jahre lang zubewegt habe. 7 davon in lähmender stiller Ehrfurcht, das letzte davon in rasanten Schritten, voller wilder Ideen im Kopf. Heute ist der Geburtstag meines verstorbenen Opas. Und damit der perfekte Tag, um den Anfang des Märchenprojekts und damit Teil I von Nis Randers zu veröffentlichen – das letzte Gedicht, welches er mir vor seinem Tode vortrug.

Aller Anfang ist schwer und ich schätze die letzten Jahre haben mich diese so schnell dahin gesprochene Floskel zu verinnerlichen gelehrt. Wie lang habe ich den Anfang des Märchenprojekts vor mir hergeschoben, weil ich nicht wusste, wie ich Nacht und Sturm und Schiffsuntergang umsetzen soll. Mit einem anderen Gedicht, Märchen oder einer Sage anzufangen kam aber auch nicht in Frage, da das Projekt so stark mit meinem Opa verknüpft war. Doch wo wir schon bei den Klassikern der Redewendungen sind: Gut Ding will Weile haben und letztendlich kommt Zeit, kommt Rat. Und so, nachdem ich im 7. Jahr beschloss das Ganze endlich anzugehen, fügte sich so langsam, aber stetig, eins nach dem anderen. Ich fand passendes Material für das Schiff, ich fand meine Location, ich fand meinen Hauptdarsteller für Nis Randers.
Und hier schloss sich nicht nur für mich ein Kreis: Für den Charakter Nis entschloss ich mich, meinen guten Freund Jannis aus Studienzeiten zu fragen. Denn einige Jahre zuvor hatten wir zusammen mit einem kleinen Team am nur 48h Filmwettbewerb teilgenommen und dabei einen Kurzfilm über einen Seemann, der bei einem Unglück 3 seiner Freunde verlor, produziert. Mein Seemann konnte also nur Jannis werden! Und Jannis war direkt Feuer und Flamme – denn witzigerweise war ihm das Gedicht Nis Randers noch in sehr guter Erinnerung durch seine Schulzeit.

Die Floskel des „Feuer und Flamme“-Seins ist hier übrigens gar nicht mal so rein metaphorisch gedacht. Jannis brachte letztendlich wirklich Feuer, Flammen und Funken ans Set, denn durch seine Arbeit bei diversen Filmdrehs über die letzten Jahre, brachte er eine große Menge Special Effects Know-How mit. Völlig neues Terrain für mich. Ich hab jetzt übrigens auch eine Windmaschine.

Krachen und Heulen und berstende Nacht,
Dunkel und Flammen in rasender Jagd –
Ein Schrei durch die Brandung!Und brennt der Himmel, so sieht mans gut.
Ein Wrack auf der Sandbank! Noch wiegt es die Flut;
Gleich holt sichs der Abgrund.
Nis Randers lugt – und ohne Hast
Spricht er: „Da hängt noch ein Mann im Mast;
Wir müssen ihn holen.“
Da fasst ihn die Mutter: „Du steigst mir nicht ein:
Dich will ich behalten, du bliebst mir allein,
Ich wills, deine Mutter!
Dein Vater ging unter und Momme, mein Sohn;
Drei Jahre verschollen ist Uwe schon,
Mein Uwe, mein Uwe!“
Nis tritt auf die Brücke. Die Mutter ihm nach!
Er weist nach dem Wrack und spricht gemach:
„Und seine Mutter?“

Vorher jedoch verbrachten wir viele Monate damit jedes kleine Detail zu besprechen. Wir fanden Vorgänger-Gedichte zu der bekannten Version von Otto Ernst (1901), wodurch wir Nis Mutter und seinen Bruder Uwe besser charakterisieren konnten. Überlegten uns Background-Stories, wie es dazu kam, dass das Schiff brennt, wo Uwe all die Jahre war, warum die Mutter sich so an ihre Bibel klammert. Wir erstellten zusammen Moodboards zu den einzelnen Etappen des Gedichts, zu den Charakteren, Kostümen und Requisiten. Und am spannendsten gestalteten sich die Ideen zu der Umsetzung: aus meinen damals angedachten 2 Bildern wurde auf einmal eine ganze Fotostory mit herausfordernden Motiven. Und so begab ich mich monatelang auf die Suche nach einem hölzernen Ruderboot, welche vor kurzem immerhin bei einem kleinen alten Ruderboot aus Plastik endete, das zuvor als Blumenbeet genutzt wurde. Das Streichen und Reparieren steht mir noch bevor, sowie auch das Herrichten eines Telefonmast, der zu einer Rar werden soll. Diese beiden Endszenen werden wahrscheinlich das wildeste, was ich jemals umgesetzt habe, es steht aber noch in den Sternen, wann wir soweit sein werden, sie umzusetzen.

Daher begrenzten wir uns erst einmal mit der Umsetzung des einfacheren Teils: Die Entdeckung des sinkenden Schiffs. Und so musste ich die letzten Wochen immerhin noch keine Wunder bei einer Bootsreparatur vollbringen, sondern nur noch Kostüme zusammenstellen und Last-Minute-Elemente, wie Stulpen häkeln oder eine Hose nähen. Und doch die Zeit raste davon und unser Shooting-Tag stand viel schneller auf einmal bevor, als erwartet. Da arbeitet man monatelang auf etwas hinaus und auf einmal ist es da.

Unglaublich selten, aber das Wetter war uns tatsächlich gnädig! Und mit gnädig meine ich: es regnete, stürmte und die graue Wolkendecke riss tagelang nicht auf. Genau das, was ich mir gewünscht hatte! Durch die Empfehlung eines Freundes aus der Filmszene hatte ich Carola kennengelernt, die sich nicht nur als optisch perfekt für die Rolle der Mutter erwies, sondern auch was ihre Einsatzmentalität betrifft. Wind und Regen, der ins Gesicht klatscht? Bei herbstlich-frischen Temperaturen? Gar kein Problem!
Dazu ergab sich, dass zwei meiner engsten Freundinnen, Sarah und Tania, uns ganz spontan begleiten und assistieren konnten, so dass wir vor genau 2 Wochen bewaffnet mit Wasserspritze, Laubbläser und Öllampe am Strand dem eisig-nassen Wetter trotzten. Und obwohl wir zusätzlich mittelgroße Katastrophen, wie „Die Bibel liegt noch zu Hause“ oder „Der Docht ist alle!“ erlebten, sagten sie alle hinterher sie hätten Spaß gehabt. Ein kleines Wunder, aber ich freue mich!

Und nun, wo ich mit Ach und Krach – oder in Krachen und Heulen und berstender Nacht – den ersten Teil rechtzeitig für den Geburtstag meines Opas fertig mache, tobt der erste Herbststurm insklusive Jahrhundertflut über dem Norden Deutschlands. Seit Anfang des Jahres warte ich auf einen Moment, um bei einem solchen Wetter Wellen für dieses Projekt einzufangen. Hat mein Opa sich etwa diesen Sturm zu seinem Geburtstag gewünscht? Wie auch immer. Allerbestes Timing, allerbeste Kulisse für diese Fotoserie. Ich fahr dann nun hinaus in den Sturm! Doch abschließend noch ein paar Backstage-Aufnahmen, denn wir alle lieben doch den Blick hinter die Kulissen, nicht wahr?

Credits
  • Nis Randers: Jannis Lippisch
  • Mutter: Carola Bock
  • Assistenz & Backstage Aufnahmen: Tania Smilgies, Sarah Syring